Apricotfarbene Rose

Die Rosen-Schöne

22. Dezember

Die Rosen-Schöne (1. Teil)

23. Dezember

Die Rosen-Schöne (2. Teil)

22. Dezember

Es war einmal, es war keinmal. Es war in uralter Zeit, als man noch ins Stroh siebte, als das Kamel noch Pferdehändler, die Maus Rasierer, der Kuckuck Schneider, der Esel noch Be­dienter und die Schildkröte noch Bäcker war; – damals war ich nur fünfzehn Jahre alt und schaukelte schon meinen Vater in seiner Wiege; damals war es. Ob es war oder nicht, kurz und gut, es war einmal ein Müller und der hatte eine schwarze Katze.

Dann war da aber auch ein Padischah und der hatte drei Töchter, von denen die eine vierzig, die andere dreißig und die Jüngste zwanzig Jahre alt war. Einmal hetzte die vierzigjährige Tochter die Jüngste auf und ließ sie folgenden Brief an ihren Vater schreiben: „Herr Vater! Eine meiner Schwestern ist vierzig, die andere drei­ßig Jahre alt und du hast sie noch immer nicht verheiratet. Fürwahr, ich will nicht auch so alt werden, bis ich endlich einen Mann bekomme!“

Der Padischah las den Brief und ließ seine Töchter herbei holen: „Hier habt ihr jede einen Pfeil, schießt ihn ab und wohin er fällt, dort mag jede ihren Zukünftigen suchen.“ Die drei Mädchen nahmen also die drei Pfeile. Die Älteste schoss zuerst. Ihr Pfeil fiel in den Palast des Sohnes des Wezirs und sie wurde mit dem Sohn des Wezirs verheiratet. Der Pfeil der mittleren fiel in den Palast des Sohnes des Schejkislam und sie wurde mit ihm verheiratet. Das jüngste Mädchen schoss auch ihren Pfeil ab und dieser flog in die Hütte eines Badeheizers. „Das gilt nicht!“, rief man und als sie zum zweiten Mal schoss, da flog der Pfeil wieder dorthin. Sie schoss zum dritten Mal und wieder flog der Pfeil in die Hütte des Badeheizers. Der Padischah wurde nun zornig und schrie seine Tochter an: „Nun, du Garstige, das geschieht dir recht. Sieh, deine älteren Schwestern warteten geduldig und haben ihr Ziel erreicht; du warst die jüngste und doch hast du den Brief geschrieben; nun, hier hast du die Strafe. Führt sie hinweg zu jenem Badeheizer, ihrem Gatten, und gebt ihr weiter nichts!“ Man führte also das arme Mädchen zum Badeheizer und gab sie ihm zur Frau.

Sie lebten eine Zeitlang miteinander, da wurde die Frau schwanger und als die Zeit der Geburt eintrat, eilte ihr Gatte um eine Hebamme. Während der Badeheizer also eine Heb­amme suchte, überfiel der Schmerz die Frau, aber sie hatte kein Bett, in das sie sich hätte legen und kein Feuer, an dem sie sich hätte erwärmen können; und dabei herrschte ein strenger Winter. Sie weinte und klagte, da traten aus der Hüttenwand drei wunderschöne Feen hervor. Die eine stellte sich an ihren Kopf, die andere zu ihren Füßen, die dritte neben sie und dann schritten sie ans Werk. Und plötzlich ist in der kleinen Hütte alles in Ordnung, die Kö­nigstochter liegt in einem reinen Bett, neben ihr das neu geborene Mädchen. Als die drei Feen mit allem fertig waren und sich entfernen wollten, traten sie einzeln an das Lager heran und die eine sprach: „Rosen-Schöne soll sie heißen; Und so oft sie weint, soll sie Perlen ausstreuen.“ Die Zweite sprach: „So oft sie lacht, sollen Rosen erblühen!“ Die Dritte sprach: „Wo sie hin tritt, soll Gras sprießen!“

Hierauf verschwanden die drei Feen. Inzwischen suchte der Badeheizer nach einer Hebamme – aber vergeblich, er fand keine. Er fragte sich: „Was soll ich nur machen?“ Er eilte heim und sah voller Staunen, dass seine ärmliche Hütte in Ordnung gebracht war, dass seine Frau schon geboren hatte und in einem schönen Bett lag. (normal) Seine Frau erzählte ihm, was geschehen war.

Wie dem auch sei. Etliche Zeit vergeht. Das Mädchen wächst von Tag zu Tag und erreicht das zehnte bis zwölfte Jahr und wurde so schön, wie die Welt noch keins gesehen hatte. Wer sie nur einmal anblickte, entbrannte in Liebe zu ihr und obendrein er­blühten Rosen, wenn sie lachte, fielen Perlen aus ihren Augen, wenn sie weinte und Gras spross in ihren Fußspuren. Wer sie gesehen hatte, der hätte seine Seele für sie hingege­ben; so groß war ihre Schönheit.

Auch die Mutter eines Prinzen hörte von diesem Mädchen und beschloss: „Diese und keine andere soll die Gattin meines Sohnes werden!“ Sie ließ den Sohn zu sich rufen und sprach: „Mein Sohn, in der Stadt lebt ein so schönes Mädchen, das Rosen lacht, Perlen weint und in ihren Fußspuren sprießt Gras. Sieh sie dir doch einmal an.“

Dem Prinzen hatten die Feen die schöne Rose, das Mädchen, schon längst im Traum ge­zeigt und seither zehrte die Glut der Liebe an ihm. Aber er schämte sich vor seiner Mut­ter und tat so, als wollte er nicht zu dem Mädchen gehen. Die Mutter aber drang auf ihn ein und rief endlich eine Palastdame, die sie zu dem Badeheizer begleiten sollte. Sie traten in die Hütte, erklärten den Grund ihres Erscheinens und auf Allahs Befehl freiten sie das Mäd­chen für den Prinzen, den Schehzade. Die armen Leute freuen sich über das große Glück, versprechen das Mädchen dem Schehzade und beginnen ihre Vorbereitungen zu treffen.

Jene Palastdame aber hatte eine Tochter; die war auch schön und glich ein wenig der Rosen-Schönen. Die Frau grämte sich sehr, dass der Prinz jenes arme Mädchen heiraten, dass die Tochter eine Dieners Sultansfrau werden sollte, nicht aber ihre Tochter. Sie dach­te nun bei sich: „Ich will die Leute betrügen und dem Prinzen statt der Rosen-Schönen meine Tochter zuführen.“

Am Hochzeitstag gab sie der Rosen-Schönen salzige Speisen zu essen, nahm einen Krug voll Wasser und einen großen Korb und setzte sich nun mit der Rosen-Schönen und ihrer Tochter auf den Brautwagen und fuhr zu dem Palast, dem Seraj.

Auf dem Weg wurde die Rosen-Schöne durstig und verlangte von der Frau Wasser. „Ich gebe dir erst dann Wasser“, erwiderte sie, „wenn du mir eines deiner Augen gibst.“ Das Mädchen verdur­stete beinahe. Was sollte sie machen? Sie grub sich das eine Auge heraus, und gab es um einen Trunk Wasser hin.

Sie fuhren nun weiter und bald empfand das Mädchen wieder Durst; sie verlangte Was­ser. „Ich gebe es dir, wenn du auch dein anderes Auge hergibst“, antwortete die Palastdame. Der Durst plagte die Arme so sehr, dass sie für einen zweiten Trunk auch ihr anderes Auge hingab. Die Frau nahm nun die beiden Augen und versorgte sie. Das blinde Mädchen aber steckte sie in den Korb und ließ sie auf einer Bergspitze zurück. Das schöne Brautkleid zog sie ihrer Tochter an, führte sie dem Prinzen zu und übergab sie ihm mit den Worten: „Hier deine Frau.“

Eine große Hochzeit wurde gefeiert und als man die Braut dem Bräutigam übergab und dieser ihren Schleier lüftete, sah er, dass nicht das Mädchen seines Traumes vor ihm stand. Da sie aber seinem Traumbild ein wenig glich, so sprach er kein Wort darüber. Sie legten sich nieder, den nächsten Morgen standen sie auf. Der Prinz wusste, dass das Mäd­chen seines Traumes Perlen weinte, Rosen lachte und dass Gras in ihrer Fußspur spross, – diese aber hatte weder Perlen, noch Rosen und Gras. Der Jüngling ahnte, dass man ihn betrogen hatte, dass dies nicht das Mädchen war, das er hätte erhalten sollen: „Aber bald werde ich es erfahren,“ dachte er und sprach zu niemandem ein Wort davon.

23. Dezember

Während der Schehzade und die Tochter der Palastdame im Palast lebten, weinte und klagte die arme Rosen-Schöne auf dem Berggipfel und so viele Perlen rollten über ihre Wangen, dass sie im Korb kaum mehr Platz fanden.

Ein Misträumer kam eben des Weges und wollte den Mist dort ausleeren, als er das Wei­nen des Mädchens hörte und fragte er erschreckt: „Wer ist da, bist du ein Geist oder eine Fee?“ – „Ich bin weder ein Geist, noch eine Fee; ich bin ein Mensch wie du“, erwiderte die Rosen-Schöne. Der Misträumer näherte sich dem Korb, öffnete ihn und er­blickte nun das blinde Mädchen und die vielen Perlen, die ihr aus den Augen rollten. Er führte das Mädchen in seine Hütte. Der Alte hatte niemanden auf der Welt, so nahm er sie an Kindes statt auf und pflegte sie so, als ob sie sein eigenes Kind wäre. Aber das Mädchen beklagte immerfort den Verlust ihrer beiden Augen und der Mann hatte nun nichts an­deres mehr zu tun, als die Perlen zu sammeln und zu verkaufen, wenn ihm das Geld aus­ging.

So verging die Zeit, im Palast voll Lustbarkeit, beim Misträumer voll Kummer und Leid.

Eines Tages saß die Rosen-Schöne in der Hütte. Da kam ihr ein Gedanke. Sie lächelte und auf ihren Lippen erblühte eine Rose: „Nimm diese Rose, Väterchen, geh’ damit vor den Palast des Prinzen und rufe: ‚Ich verkaufe Rosen, solche, wie sie selten zu haben sind!‘ Kommt die Palastdame heraus, so verkaufe ihr die Rosen nicht für Geld, sondern sage, dass du sie nur für Menschenaugen feilbietest.“

Der Mann nahm die Rose in die Hand und ging vor den Palast und begann zu rufen: „Ich verkau­fe Rosen, solche, wie es sonst keine auf der Welt zu haben gibt!“ Und es war da­mals nicht einmal die Rosenzeit. Die Palastdame hörte das zuerst und dachte sich: „Ich werde die Rose für meine Tochter kaufen, damit der Prinz denkt, dass sie doch seine rech­te Frau ist.“ Sie rief den armen Mann herbei: „Wie teuer willst du die Rose verkaufen?“ – „Für nichts, sie ist für Geld nicht feil, aber für ein Menschenauge gebe ich sie hin!“ Die Frau holte das eine Auge der Rosen-Schönen hervor und gab es für die Rose hin. Sie trug die Rose gleich zu ihrer Tochter, steckte sie ihr ins Haar und als der Prinz am Abend die Ro­se erblickte, glaubte er in ihr die Fee seines Traumes zu erkennen, konnte sich aber nicht erklären, wie sie her gelangt sei. Er tröstete sich und dachte: ‚Bald werde ich alles erfah­ren,‘ und sprach zu niemandem ein Wort davon.

Der Alte ging mit dem Auge fort und übergab es seiner Tochter, der Rosen-Schönen. Diese setzt es sich ein, fleht zum allmächtigen Allah, blickt herum und siehe da! sie sieht mit dem einen Auge ganz gut. Das arme Mädchen freute sich darüber so sehr, dass auf ihren Lippen abermals eine Rose erblühte. Auch diese gab sie ihrem Vater: „Geh wieder vor den Palast und verkaufe sie für ein Auge.“ Der Alte nahm also die Rose in die Hand und kaum hatte er vor dem Palast zu rufen begonnen, als ihn die Frau auch schon hörte. „Er kommt mir eben recht, der Prinz beginnt schon meine rosengeschmückte Tochter zu lieben; ich kaufe auch diese, damit er sie noch lieber gewinnt, dann wird er bald die Tochter des Badedieners vergessen.“ Sie rief den Misträumer herbei, verlangte die Rose, doch er verkaufte sie wieder nicht für Geld, sondern für ein Menschenauge. Die Frau gab ihm auch das andere Auge. Der Alte eilte damit nach Hause und übergab es seiner Tochter. Die Rosen-Schöne setzte es sich ein, flehte zu Allah, blickte dann herum und freute sich nun an ihren beiden Augen so sehr, dass auf ihren Lippen viele Rosen erblüh­ten. Sie wurde noch schöner als sie früher gewesen war.

Eines Tages nun ging die Rosen-Schöne spazieren und überall erblühten Rosen auf ihren Lippen und Gras wuchs in ihrer Fußspur. Als die Palastdame das Mädchen erblickte, er­schrak sie heftig: „Was wird nun mit meiner Tochter geschehen, wenn man von der Sa­che erfährt?“

Sie erkundigt sich nach der Wohnung des Misträumers, eilt hin und jagt dem armen Alten Schrecken ein: „Weißt du denn nicht, dass du eine Hexe beherbergst?“ Der Alte hatte noch nie in seinem Leben eine Hexe gesehen, war nun ganz außer sich vor Schrecken und fragte: „Was soll ich denn nun machen?“ – „Frag sie nach ihrem Talisman, dann werde ich mich schon um die Sache kümmern!“, antwortete die Palastdame.

Als seine Tochter heimkehrte, fragte der Alte als erstes: „Wie kommt es, dass du als Mensch solche Zauberdinge treibst?“ Das Mädchen ahnte nichts Böses und sprach: „Ich habe von drei Feen einen Talisman bekommen, durch den ich Rosen, Perlen und Gras hervor­bringe, so lange mein Talisman lebt.“ – „Was ist dein Talisman?“, fragte der Misträumer. „Ein kleiner Hirsch, der in den Bergen lebt. Wenn er stirbt, muss auch ich sterben.“

Am nächsten Tag ging die Palastdame heimlich in die Wohnung des Misträumers und dieser erzählte ihr alles. Kaum hatte sie erfahren, was der Talisman der Rosen-Schönen war, eilte die Palastdame freudig nach Hause und erzählte ihrer Tochter: „In den Bergen lebt ein kleiner Hirsch. Lass es dir von deinem Prinzgemahl einfangen.“

Noch am selben Tag jammerte und klagte die Sultansfrau ihrem Gatten: „In den Bergen lebt ein kleiner Hirsch, dessen Herz ich essen möchte.“ Nach kurzer Zeit fingen die Leute des Prinzen das kleine Wild, schlachteten es ab, nahmen sein Herz heraus und gaben es der Sultansfrau. In dem Augenblick, in dem man das Hirschlein abschlachtete, starb auch die Rosen-Schöne. Der Misträumer betrauerte sie und betrauerte sie auch nicht, und schließlich beerdigte er sie.

An der Spitze des Hirschherzens aber war eine rote Koralle, die niemand bemerkt hatte. Als nun die Sultansfrau das Herz aß, fiel die Koralle zu Boden und rollte unter die Treppe, als ob sie sich verstecken wollte. Mit der Zeit, und zwar nach neun Monaten und zehn Tagen, gebar die Gattin des Prinzen ein Töchterlein, das Perlen weinte, Rosen lachte und in deren Fußspur Gras keimte. Als dies der Prinz sah, dachte er hin und her, denn das kleine Mädchen ähnelte der Rosen-Schönen, obwohl diese nicht ihre Mutter war. Selbst im Traum hatte er keine Ruhe, denn die Rosen-Schöne erschien ihm: „O Prinz, mein Bräutigam, meine Seele liegt unter der Palasttreppe, mein Leib auf dem Friedhof, deine Tochter ist meine Tochter, mein Talisman ist die kleine Koralle.“

Als der Prinz erwachte, ging er sogleich zur Treppe, suchte und fand dort die Korallen­perle. Er hob sie auf, trug sie in sein Gemach und legte sie auf den Tisch. Da kam sein Töchterlein herein, erblickte die rote Koralle, ergriff sie und verschwand, als ob sie nie da gewesen wäre. Die drei Feen hatten das Kind entführt, trugen es nun zu ihrer Mutter und als die Koralle in den Mund der Toten fiel, erwachte sie zu neuem Leben.

Der Prinz fand keine Ruhe, ging auf den Friedhof, öffnete das Grab und ließ den Sarg auf­schließen. Siehe da! Da war die Rosen-Schöne seines Traumes, die ihr Kind im Arm hielt und ihren Talisman, die kleine Koralle, bei sich hatte. Sie stiegen aus dem Grab und um­armten sich. Beide weinten und aus ihren Augen strömten Perlen. Wenn sie aber lachten, so erblühten Rosen auf ihren Lippen und in ihren Fußspuren keimte Gras.

Die Palastdame und ihre Tochter mussten schwer büßen. Der Schehzade, die Rosen-Schö­ne und ihr Vater, der Badediener samt seiner Frau, der Sultanstochter, lebten nun zu­sammen. Vierzig Tage und vierzig Nächte lang dauerte die Hochzeit, aber ewig die Lustbarkeit.

Türkei

Ignaz Kúnos: „Türkische Volksmärchen aus Stambul“, Leiden: E. J. Brill, 1905

Fassung Bettina von Hanffstengel