Apfelblüte

Das Mädchen aus dem Apfelbaum

Auch die Apfelblüte hat ihr Geheimnis. Wenn ihr sie im Frühling seht, erinnert euch, dass es einmal einen jungen König gab, der nichts lieber tat, als in seinen Wäldern zu jagen.

Doch einmal geschah es, dass er sich in eine unbekannte Gegend verirrte und bald war rund um ihn herum nichts als öde Wüste. Der König hatte großen Durst, doch es gab we­der einen Bach noch eine Quelle. Als ihm vor Durst die Kehle schon ganz trocken war, er­blickte er vor sich einen Apfelbaum. Wer weiß, wie der dort hingekommen war!

An den Zweigen hingen drei Äpfel, halb rot, halb gelb, eine Freude sie zu betrachten. Der König ging hin und pflückte einen der Äpfel. Aber kaum hatte er ihn aufgeschnitten, da sprang aus dem Apfel ein wunderschönes Mädchen mit einem weißen Hemdchen und bat: „Wasser, bitte gib mir Wasser!“

Der junge König schaute und staunte das Mädchen ganz verzaubert an, doch als er ihm kein Wasser anbot, verschwand es wieder. Da griff der junge Mann ohne lange zu zögern nach dem zweiten Apfel und zerteilte ihn. Aber auch aus diesem Apfel sprang ein Mäd­chen, es war noch schöner als das erste und es bat um Wasser. Der junge König, der selbst vor Durst fast umkam, schaute es mitleidig an und schon bald verschwand das Mädchen. Nun pflückte der König den dritten Apfel, aber ihn auf zu schneiden brachte er nicht übers Herz, denn er dachte an das Schicksal der beiden anderen Mädchen: ‚Mit diesem Apfel ist es sicher nicht anders.‘ Er ritt so lange, bis er an einen Fluss kam. Dort zerteilte er den dritten Apfel und ein Mädchen im bloßen Hemdchen, schöner als die beiden ersten zusammen, sprang heraus und sprach mit flehender Stimme: „Wasser, bitte gib mir Wasser!“

Der König beugte sich zum Fluss hinunter, schöpfte eine Handvoll Wasser vom Fluss und benetzte das Mädchen vom Kopf bis zu den Füßen. Das Mädchen schüttelte sich und sprach: „Ich danke dir, dass du mich gerettet hast. Jetzt gib mir noch deinen Mantel, damit ich nicht im Hemd vor dir stehen muss.“

Dem König gefiel das Mädchen über alle Maßen: „Gern gebe ich dir meinen Mantel und alles, was ich besitze, wenn du mir versprichst, dass du meine Frau wirst.“ Dem Apfel­mädchen gefiel der König auch: „Gern will ich dich heiraten. Du darfst aber dein Wort nicht zurücknehmen.“ – „Warum sollte ich das tun?“ Der König lachte. „Warte hier auf mich, ich will die goldene Kutsche holen, um dich aufs Schloss zu bringen.“

Dann trieb es sein Pferd an und ließ das Mädchen allein. Daran tat er nicht gut, denn kaum war er hinter der Wegbiegung verschwunden, da kam eine hässliche Alte zum Fluss. Als sie das Mädchen sah, riss sie ihm mit der einen Hand den königlichen Mantel herunter und stieß es mit der anderen Hand in den Fluss. Das Wasser schloss sich über dem Mädchen und war wieder glatt wie ein Spiegel. Am Ufer blieb die Alte zurück, die warf sich den Mantel um und erwartete den Bräutigam.

Bald darauf kam der junge König in einer goldenen Kutsche angefahren und rief schon von Weitem nach seinem schönen Apfelmädchen. Doch die Freude dauerte nicht lange. Als er der Braut ins Gesicht schaute, sah er statt der schönen Jungfrau eine alte Hexe unter seinem Mantel.

„Sag, bist du es Apfelmädchen?“, fragte der König mit bangem Herzen. Die Alte krächzte: „Ja, ich bin es. Erfülle nun, was du versprochen hast.“

Der König wusste nicht, was er denken sollte: „Ist das wirklich mein Apfelmädchen? Will es mich nur prüfen?“ Traurig setzte er die Alte in die goldene Kutsche und fuhr mit ihr zum Schloss.

Aber als seine Leute die Braut erblickten und sahen, dass sie eine schreckliche Hexe war, da zweifelten sie am Verstand des Königs. Einige lachten, die anderen weinten. Es war eine traurige Hochzeit. Doch am traurigsten war der Bräutigam, der darauf wartete, dass sich die Alte wieder in das schöne Apfelmädchen verwandelte. Aber die Braut wurde immer hässlicher, so hässlich, dass der König ihr nicht mehr ins Gesicht schauen konnte. Kaum war die Hochzeit vorbei, setzte er sich in seinem Zimmer an das offene Fenster und schaute bekümmert in den Garten hinaus. Da kam ein weißes Täubchen geflogen und setzte sich auf seine Hand und es gurrte so zärtlich, dass dem König das Herz weh tat: „Was willst du mir sagen, Täubchen?“ Und mit menschlicher Stimme sprach das Täubchen:

„Junger König, gurru, gurru,
du bist betrogen, hör gut zu.
Hast dich mit großem Glanz vermählt,
doch nicht die richtige gewählt.“

Der König rief verwundert: „Was sagst du da Täubchen?“ Aber bevor das weiße Täubchen fortfahren konnte, schlug die Alte an die Tür des Zimmers und rief: „Öffne, König, mit wem sprichst du?“ – „Ich spreche mit niemandem.“ Das Täubchen flog schnell durch das Fen­ster in den Garten hinaus und die Alte durchsuchte vergeblich alle Ecken. „Ich werde schon herausfinden, mit wem du hier redest“, krächzte sie auf der Schwelle und schlug die Tür hinter sich zu.

Am nächsten Tag war es nicht anders. Nach dem Mittagsmahl flog wieder das weiße Täubchen zu ihm herein und gurrte so traurig, dass dem jungen König warm ums Herz wurde: „Sag Täubchen, was willst du von mir?“ Und mit menschlicher Stimme sagte das Täubchen:

„Junger König, gurru, gurru,
du bist betrogen, hör gut zu.
Hast dich mit großem Glanz vermählt,
doch nicht die richtige gewählt.
Im Flusse muss die Echte liegen,
sanfte Wellen sie im Schlafe wiegen.“

„Was sagst du da, Täubchen?“ Aber bevor das weiße Täubchen mehr erzählen konnte, klopfte wieder die Alte an die Tür: „Öffne König, mit wem sprichst du?“ – „Ich spreche mit niemandem.“ Die Taube flog schnell durch das Fenster in den Garten. Die Alte sagte drohend: „Ich werde schon herausfinden, mit wem du redest.“ Und sie schlug die Tür zu.

Auch am dritten Tag verließ der König nach dem Essen den Tisch, eilte in sein Zimmer und schloss die Tür siebenmal hinter sich zu. Aber die hässliche Alte schlich sich ans Schlüsselloch und sie hörte und sah alles. Kaum hatte sich der König ans Fenster gesetzt, flog das weiße Täubchen auf seine Schulter und gurrte:

„Junger König, gurru, gurru,
du bist betrogen, hör gut zu.
Hast dich mit großem Glanz vermählt,
doch nicht die richtige gewählt.
Im Flusse muss die Echte liegen,
sanfte Wellen sie im Schlafe wiegen,
ruht in des Flusses tiefer Nacht,
wer weiß, wann jemals sie erwacht.“

Der König antwortete erschrocken: „Was sagst du da, Täubchen?“ Aber noch ehe das weiße Täub­chen mehr sagen konnte, klopfte es an der Tür. Diesmal hatte die Alte die Diener des Kö­nigs geschickt. Sie selbst holte inzwischen den Jäger und führte ihn in den Garten.

„In diesem Garten lebt ein Täubchen, das immer in des Königs Zimmer fliegt. Wenn du es siehst, dann erschieße es. Bringst du es mir nicht, so wird es dich deinen Kopf kosten.“

Nicht lange darauf kam das weiße Täubchen an das Fenster des Königs geflogen. Das Klopfen an der Tür hatte es aufgeschreckt. Der Jäger zielte, schoss und traf. Blut über­strömt fiel das Täubchen zu Boden. Der Jäger hob es auf und brachte es der Hexe: „Hier hast du, was du verlangst, Herrin!“
Die hässliche Alte aber nahm das Täubchen und verbrannte es im Feuer: „Kein Feder­chen von dir wird übrig bleiben.“ Und wirklich, alles verbrannte zu Staub und Asche. Doch dort, wo das Täubchen tot zur Erde gefallen war, wuchs über Nacht ein Sprössling. Am Mittag war aus dem Sprössling ein starker Apfelbaum geworden, und am Abend trug der Baum eine Blüte, die herrlich duftete.

Der alte Gärtner bestaunte den Baum und hatte Mitleid mit der Blüte: „Du arme Blüte, spät bist du aufgeblüht, ein Apfel wird nicht mehr aus dir, schon weht der Herbstwind durch den Garten. Ich nehme dich in meine Hütte.“ Und bevor der kalte Wind die Blüte abreißen konnte, pflückte sie der Gärtner und stellte sie in eine Vase ans Fenster.

Seit die Blüte im Haus des Gärtners war, geschahen dort wundersame Dinge.
Als der Alte am ersten Tag von seiner Arbeit kam, blieb er wie angewurzelt in der Tür stehen und staunte: Alles war aufgeräumt, das Zimmer gefegt, das Bett gemacht und die Tassen und Töpfe standen ordentlich auf dem Wandbord.

Am Tag darauf war es nicht anders. Alles war sauber und aufgeräumt, doch zu sehen war niemand. Am dritten Tag ging der Gärtner wie immer in den Garten, doch er kehrte heim­lich über den Hof in die Hütte zurück. Er schlich sich in die Kammer und konnte nun beo­bachten, was geschah. Als es in dem Häuschen still geworden war, sprang die Apfelblüte aus der Vase, und kaum hatte sie den Fußboden berührt, stand da ein wunderschönes Mädchen im weißen Hemdchen, das schüttelte das Bett, fegte das Zimmer und ordnete Teller, Tassen und Töpfe auf dem Wandbord. Der Gärtner öffnete vorsichtig die Tür, doch als er eintrat, erschrak das Mädchen und rief: „Wasser, bitte gib mir Wasser!“

Der Alte nahm eine Kanne, schöpfte Wasser aus dem Brunnen und besprühte die Jung­frau von Kopf bis Fuß. Das Mädchen schüttelte sich freudig: „Ich danke dir, guter Mann, dass du mich gerettet hast. Jetzt brauche ich noch den Kittel von dir, damit ich nicht im bloßen Hemdchen frieren muss.“
Der Gärtner gab ihr ein Kleid seiner verstorbenen Frau. Danach lief er ins Schloss und am Tor begegnete er dem jungen König: „Kommt mit, edler König, und seht, was geschehen ist!“
Der König kam zum Gärtnerhaus – und was sah er? Im Zimmer stand sein Apfelbaum­mädchen!

Nun erzählte das Mädchen alles, was geschehen war: Von der Alten, die sie in den Fluss geworfen hatte, von dem Jäger und dem Apfelbaum: „Ich war das weiße Täubchen und der Apfelbaum unter deinem Fenster wuchs aus meinem Blut. Nun bin ich erlöst, aber meine beiden Schwestern fliegen noch immer als weiße Täubchen umher, denn wir wa­ren drei Königstöchter und die alte Hexe hat uns verzaubert. Erst wenn sie tot ist, wird der Zauber endgültig gebrochen und meine Schwestern werden erlöst sein.“

Nach diesen Worten flogen zwei weiße Täubchen zum Fenster herein und setzten sich dem Apfelmädchen auf die Schultern. Der junge König küsste seine Braut, aber mit der falschen Königin nahm es ein böses Ende.
Da waren auch die beiden Schwestern erlöst und der junge König und das Mädchen aus dem Apfelbaum feierten eine glückliche Hochzeit.

Böhmen

aus: Jan Vladislav: „Warum die Bäume nicht mehr sprechen können“, Dausien, 1976