Spät kommt er, aber er kommt, mein Monatsrückblick für den November.

Pferd auf dem Marktplatz von Volkach

Überraschungen

Am Montag, den 6. November, bekam ich einen Anruf von der Leiterin der Kolping-Senioren in Neunkirchen, einer Kundin, von der ich schon länger nichts gehört hatte: „Bettina, kannst du am Mittwoch zu uns zum Nachmittag der Kolping-Senioren kommen und 90 Minuten lang Märchen erzählen?“

Dieser Auftrag kam nun wirklich unerwartet. Ich dachte mir gleich etwas Schönes aus: „Märchen mit (Volks-)Liedern zum Mitsingen“. Erst am Abend konnte ich meine Kundin wieder erreichen, aber sie lehnte meinen Vorschlag ab: „Wir haben erst beim letzten Treffen eine Sängerin zu Gast gehabt, die mit uns gesungen hat. Für diesen Mittwoch brauchen wir eine Veranstaltung mit Vortrag.“

‚M-hm‘, dachte ich mir, ’nun muss ich mehr Märchen erzählen als gedacht und habe doch gar kein richtiges Programm!‘ 

Wir einigten uns dann auf ein Programm mit dem Titel „Bunte Mischung“ und ich erzählte alle Märchen, die ich in den letzten Monaten erzählt hatte oder erzählen wollte. 

Es war ein schöner Nachmittag und es hat richtig Spaß gemacht! Zum Schluss haben wir dann doch gesungen. Es gibt ein Märchen der Sinti und Roma, das ich sehr liebe. In diesem Märchen wiegt die Mutter der Sonne die Sonne in der Nacht auf ihrem Schoß und singt dabei ein Lied, bei dem sich die Sonne verjüngt und vom alten Mann wieder zum Knaben wird. Das Lied ist ganz einfach: „Noooo-nuuuu, noooooo-nuuuuu.“ Das haben wir dann zusammen gesungen. Es war wunderschön!

Unser Märchentisch

Am Freitag darauf erzälte ich zusammen mit meiner Kollegin Zorica Otto beim Märchennachmittag des CSU-Ortsverbands in Dormitz Märchen aus dem Wald. Wir freuten uns sehr, denn es waren bestimmt 40 junge und alte Zuhörende gekommen.

Zuganzeige am Bahnhof

 

Das 1. Bayerischer Erzähler:innentreffen

In der zweiten Woche fuhr ich mit meiner Freundin und Kollegin Heike Appold nach München zum
1. Bayerischen Erzähler:innentreffen. Als ich im Nürnberg am Bahnhof stand und auf den Zug wartete, überkam mich das Fernweh und ich dachte: ‚Wenn ich nichts Anderes vorhätte, könnte ich bis nach Wien fahren.‘

Obwohl das Treffen nur am Samstag stattfand, hatten wir beschlossen, uns das ganze Wochenende Zeit zu nehmen und den Ausflug nach München so richtig zu genießen.

Am Freitagnachmittag gingen wir in den Räucher- und Steinlesladen Calerris am Sendlinger Tor. Ich habe mich sehr beherrscht und nur zwei kleine Steinchen mitgenommen, aber Räuchern ist meine ganze Leidenschaft. Da stand das köstlichste Räucherwerk in großen Gläsern, verführerischer als die leckersten Bonbons und zur Selbstbedienung!

Amberdhoop, Drachenblut, Zirbenharz, Bernstein und vieles mehr!

Am Samstagmittag um 13 Uhr begann das Treffen. Mir hat das Warm-Up sehr gut gefallen. Nach einer halben Stunde kannte ich die Namen aller 26 Teilnehmenden. Das Treffen war als Barcamp organisiert mit 6 Sessions á 45 Minuten, wovon zwei Themen von jeweils zwei Gruppen diskutiert wurden. Jede/r Erzählende konnte an zwei Sessions teilnehmen.

Ich fand es sehr spannend zu erleben, welche Themen die versammelten Erzählerinnen und Erzähler interessierten.

Es ging um folgende Themen: Cultural Awareness, Erzählen als Kunstform (zwei Sessions), Erzählformen,  Stereotype im Märchen (zwei Sessions).

Cultural Awareness ist ein Bewusstsein für die Kultur aus der das Märchen stammt und eine Haltung der/des Erzählenden. Er/sie ist für das Produkt verantwortlich. Cultural Awareness ist eine Selbstverständlichkeit für mich. Deshalb erzähle ich Kojote-Geschichten nur im Winter, denn Kojote-Geschichten sind traditionelle Wintergeschichten und werden das Jahr über nicht erzählt. Mich hat interessiert, wie andere Erzählende mit traditionellen Erzählstoffen umgehen. Für mich erleichternd war die Haltung: Ich muss ein Märchen aus einer anderen Kultur nicht kritiklos weitergeben, sondern habe verschiedene Möglichkeiten, bspw. mit veralteten Geschlechtsrollenstereotypen (im Märchen ist es okay, dass ein Mann seine Frau schlägt, um sich Respekt zu verschaffen), umzugehen:

  • Ich kann in der Märchensprache bleiben und sagen: „Es wird aber auch erzählt…“ Und ein alternatives Szenario anbieten
  • Ich kann so eine Stelle auch kommentieren: „Früher hätte man einfach erzählt, dass der Mann seine Frau schlägt, um sich Respekt zu verschaffen. Heutzutage machen wir das nicht mehr. Heute geht das Märchen anders weiter: ….“
  • Ich binde das Publikum mit ein auf der Suche nach einem anderen Szenario

Erzählen als Kunstform beinhaltete Fragestellungen wie: Was zeichnet eine professionelle Erzählerin bzw. einen professionellen Erzähler aus? Woran wird der Unterschied zur Amateurin für das Publikum deutlich? Geht es um die Höhe des Honorars? Was für Gelegenheiten und mögliche Auftrittsorte gibt es? Mit wem kann ich kooperieren? Wie können wir „Erzählen als Kunstform“ etablieren?
In dieser Session wurden Ideen und Erfahrungen ausgetauscht.

Verschiedene Erzählformen habe ich schon ausprobiert, wie bspw. ein Märchen zu zweit erzählen, was allein durch zwei verschiedene Stimmen und Betonungen eine gewisse Spannung erzeugt. Ich habe auch zusammen mit der russischen Märchenerzählerin Galina Matkowskaja russische Märchen auf russisch und deutsch erzählt.  

Wenn du dich dafür interessierst, wie lautsprachliches Erzählen und erzählen mit Gebärdensprache sein kann, dann schau dir doch mal dieses Video an. Die Märchenerzählerin Frau Wolle erzählt „Die Bestrafung des Kusses“.

Stereotype im Märchen
Was ist der Unterschied zwischen Stereotypen und Archetypen? Stereotypen, wie bspw. der Dummling transportieren Werte. Im Märchen ist der Dummling oft der verkannte Sohn, der, der auf sein Herz hört und so ganz anders ist wie die beiden älteren Brüder. Bekannte Archetypen sind die Königin, der König, der Zauberer oder die Hexe. 

Wie können Stereotype aufgebrochen werden? Muss die Prinzessin immer ihren Retter heiraten oder gibt es eine andere Lösung? Wie kann ich als Erzählende Märchen an unsere heutigen Wertvorstellungen anpassen ohne die Geschichte kaputt zu machen?

Ganz wichtig bei allen Themen ist die Verantwortung der/des Erzählenden für die Märchen und die Art des Vortrags.

Als Abschluss des Treffens war noch ein Märchenabend geplant. Jede/r erzählwillige Teilnehmende/r hatte die Wahl: Entweder bei der Anmeldung einen Märchentitel und Dauer der Erzählzeit zu nennen oder am Abend spontan aufzustehen und ein Märchen zu erzählen. Ich hatte beschlossen, sichtbar zu werden und beherzigte den Rat von Meike Hohenwarter: „Nütze jede Bühne, die man dir anbietet!“ Ich meldete mich also mit dem Märchen „Der Hirsch mit dem zwölfzackigen Geweih“ an. Es ist ein Märchen Jakuten, in dem ein Mädchen das Glück der Menschen befreit. In diesem Märchen kommen zwei Lieder vor: ein Lied, das das Mädchen oft gesungen hat und ein Kinderlied, das ihre Großmutter singt. Ich kann kein jakutisch und habe zwei mongolische Lieder ausgesucht und gesungen, nämlich das Zugvogellied und ein Wiegenlied, die beide die Natur besingen.  Ich war mit meinem Vortrag sehr zufrieden und habe auch Beifall bekommen.

Elefanten und Schmetterlinge

Ein Treffen mit Freundinnen

Am Sonntag trennten sich Heikes und meine Wege nach dem Frühstück. Ich traf mich mit zwei meiner Freundinnen aus der Turner-Syndrom-Vereinigung Deutschland e.V., nämlich Karen Demuth, der Leiterin der Regionalgruppe München und Luisa Pleßke, die den Podcast „Das Leben mit X Chancen – das Leben mit dem Turner-Syndrom“ macht.

Es war ein sehr schönes Treffen. Wir saßen stundenlang in einem Indischen Restaurant, aßen, tranken und plauderten. Das Bild mit den Elefanten und den Schmetterlingen hängt dort an der Wand.

Die Heimreise mit der Bahn gestaltete sich hindernisreich.Mir machte die 30-minütige Verspätung des Zuges wenig aus. Es ist zwar nicht so gemütlich am Gleis zu sitzen und zu warten, aber meine Zugreise war in Nürnberg zu Ende. Heike dagegen musste unerwartet in Nürnberg umsteigen und kam so spät in Würzburg an, dass sie von dort aus mit dem Taxi nach Hause fahren musste

Auf-dem-Reinighof<br />

Auf dem Reinighof – ich wohnte im Tinyhouse

Storytelling und Naturverbindung

Ich hatte im August relativ spontan am Workshop „Naturmusik und Geschichtenklang“ mit der Musikerin und Erzählerin Momo Heiß und der Naturverbindungs-Mentorin und Verbindungsweberin Viktoria Behem auf dem Naturzeltplatz am Reinighof teilgenommen. Das war eine sehr schöne Erfahrung! Wir waren nur zwei Teilnehmerinnen und haben unter anderem einen Spaziergang mit verbundenen Augen im Wald gemacht, um unsere Sinne zu wecken. Dabei wurde ich von Momo geführt. Das Bild dazu siehst du auf der Webseite von Momo und Viktoria.

Mir war es wichtig, meine Angst vor dem Improvisieren mit einem Instrument ab- und Klänge beim Erzählen von Märchen einzubauen. 

Beim Onlinekurs wollte ich lernen, wie ich mit Kindern oder Erwachsenen eine Geschichte erfinden kann und habe an dem Kurs „Natur erkunden und Geschichten darin erfinden“, teilgenommen. Es war richtig schön! Wir haben über drei Abende hinweg eine Abenteuergeschichte erfunden. Ich kann mir nun gut vorstellen, mit Kindern eine Geschichte zu erfinden und auch Erwachsene zu begeistern. 

Mir hat der Kurs so gut gefallen, weil ich die Methodik von Momo und Viktoria so sehr schätze: 
Zuerst haben wir den Prozess durchlaufen, dann haben wir ihn reflektiert und Fragen gestellt.

 

Nareddin Hoscha sitzt verkehrt herum auf dem Esel

Quelle: © Nevit DilmenCC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Die drei Reisen des Nasreddin Hodscha – ein Abend bei „Märchen im Turm“

Am 30.11. habe ich zusammen mit den Erzählerinnen Kathrin Hofmann und Zorica Otto einen Abend mit Märchen über Nasreddin Hodscha und zwei Märchen über listige Frauen gestaltet.

Märchen von Nasreddin Hodscha erzählt man sich nicht nur im Orient, sondern auch in Zentralasien. Deshalb habe ich den Abend so gestaltet, dass wir die Märchen entlang von drei Reiserouten, jeweils von der Türkei bis Mekka, nach Wabkent in Usbekistan und nach Slowenien erzählt haben.

Hast du dich auch gefragt, weshalb Nasreddin Hodscha verkehrt herum auf seinem Esel sitzt? Er will nicht in dieselbe Richtung schauen, wie ein dummes Tier. Außerdem ist er ein höflicher Mensch und will seinen Freunden, die hinter ihm herreiten, nicht den Rücken zuwenden.