Vollmond neben Nadelbaum

Manchmal, wenn ich beim Schein des Mondes draußen bin, erinnere ich mich an einen Mongolen mit Namen Monschein, der zu den Mongolen gehört, denen Großer Tiger und Christian in dem gleichnamigen Buch von Fritz Mühlenweg begegnet sind. In diesem Buch schildert er die abenteuerliche Reise eines chinesischen und eines deutschen Jungen durch die Mongolei.

Fritz Mühlenweg war ein gelernter Kaufmann und arbeitete für die deutsche Lufthansa. Er begleitete den bekannten schwedischen Forschungsreisenden Sven Hedin dreimal in den Jahren 1927-1932 in die Mongolei. Er sprach nicht nur Chalcha-Mongolisch, sondern auch mehrere mongolische Dialekte.

Im Buch bechließen die beiden Jungen, dass es höflich ist, sich nicht nur an mongolische Gebräuche zu halten, sondern auch die mongolische Sprache zu lernen. Deshalb finden sich in dem Buch nicht nur mongolische Ortsbezeichnungen, wie der Edsin-Gol (Edsin-Fluss), sondern auch ein paar mongolische Redewendungen, die mich als Jugendliche fasziniert haben.

Besonders gut hat mir und auch meiner Schwester die Sitte gefallen, Geschenke in einem blauen Tuch, Haddak genannt, zu überreichen. Jahrelang haben wir uns gegenseitig Geschenke, in Tücher verpackt, überreicht.

Hellblaues Schaltuch aus Kunstseide, mongolisch Haddak genannt

Blauer Haddak

„Großer Tiger und Christian“ hat mich sehr inspiriert und die Sehnsucht nach der Mongolei, aber vor allem nach einer Begegnung mit Mongolen in mir geweckt. Damals, in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts, dachte ich nicht darüber nach, wie ich diesen Traum verwirklichen könnte. Damals gab es ja noch den Eisernen Vorhang, der die Welt in Westen und Osten teilte. Die Mongolei gehörte zum sogenannten Ostblock. Dorthin zu reisen war damals für Menschen aus dem Westen fast unmöglich. Als Jugendliche interessierte mich das nicht. Ich träumte davon, einmal in die Mongolei zu reisen und die Mongolei zu Pferd zu erkunden.

Ich hatte noch kein einziges Bild von der Mongolei gesehen. Die ganze Landschaft des Buches gab es nur in meiner Fantasie. Mein Traum von der Mongolei sah in etwa so aus:

Zwischen zwei etwa zwei Meter hohen Pflöcken gespannte Leine, an der ein braunes Pferd angebunden ist. Da ist Platz für mehrere Pferde

Anbindevorrichtung für Pferde in der Mongolei zur Zeit von Fritz Mühlenweg und heute

Noch wichtiger als die Landschaft waren mir die Mongolen, die Fritz Mühlenweg als humorvolle Menschen beschrieb, die gerne mit Worten spielen. Beim Lesen des Buches dachte ich damals: „Und hast du’s nicht gesehen, dann hast du einen Spitznamen und wer weiß, ob der dir dann gefällt…!“

In dem Buch gab es einen weitgereisten Mongolen mit Namen Gombo, der überall Freunde hatte. Niemand nannte ihn Gombo. Alle nannten ihn Nicht-gibt-es-nicht, weil er auf die Frage: „Gombo, wo warst du denn noch nicht?“ stets antwortete: „Nicht gibt es nicht.“

Ein anderer Mongole hatte den schönen Namen Mondschein. Er liebte diesen Namen, aber die Leute nannten ihn nur Pfötchen. Und das kam so:

In einem Winter (und in der Mongolei sind die Winter richtig kalt; da schneit es schon im September, auch wenn der Schnee nur ein paar Tage liegen bleibt) war Mondschein nachts mit einer Karawane unterwegs. Er stieg aus dem Sattel und lief ein Stück mit der Karawane mit, um sich ein wenig aufzuwärmen. Plötzlich blieb die Karawane stehen, aber Mondschein war nicht richtig wach und lief das letzte Kamel hinein. Das Kamel schlug derart aus, dass Mondschein ohnmächtig wurde und hinfiel. Als er wieder zu sich kam, wunderte er sich und fragte: „Warum liege ich hier und schaue in den Himmel?“ – „Das Kamel hat dich getreten, darum schaust du in den Himmel.“ – „Ach jetzt erinnere ich mich, das Kamel wollte mir nur sein Pfötchen geben.“

Mir hat diese Geschichte sehr gut gefallen. Manchmal, besonders bei Vollmond, denke ich daran.

Und du fragst dich jetzt vielleicht: „Na Bettina, du bist doch auch mit Mongolen gereist, hast du auch einen Spitznamen bekommen?“
Galsan Tschinag, der tuwinisch-mongolische Schamane und Autor, mit dem ich gereist bin, pflegte mit meinem Namen zu spielen und sich kleine Geschichten dazu auszudenken:

„Es war einmal eine Ina, die lag so gern im Bett. Das sagte der Vater: „Wir nennen das Kind Bett-Ina.“

„Es war einmal eine Tina, die tat den ganzen Tag nichts als beten und deswegen hieß sie Bet-Tina.“

Brustbild von Galsan Tschinag im Winterdeel mit mongolischem Hut und der Erzählerin

Galsan Tschinag und ich Mittsommer 2016 im Altaigebirge